Wenn Geschwindigkeit kostenlos wird – wofür zahlen Mandanten dann eigentlich?
Generative KI verändert die Art und Weise, wie juristische Arbeit entsteht. Was früher vier Stunden sorgfältiger Analyse erforderte, kann heute – zumindest teilweise – in wenigen Minuten von einem Sprachmodell erstellt werden. Doch während die Technik die Bearbeitungszeit verkürzt, rechnen viele Kanzleien weiterhin nach Stunden ab. Das führt zu einem grundlegenden Spannungsverhältnis: Zahlen Mandant:innen für Zeit – oder für Expertise?
KI stellt das Stundenhonorar infrage
Das Abrechnungsmodell auf Stundenbasis wird seit Langem kritisiert – es belohnt Ineffizienz und bremst Innovation. Mit Tools wie ChatGPT, Harvey oder spezialisierten Legal-AI-Copiloten lassen sich Memos verfassen, Verträge strukturieren oder Urteile zusammenfassen – in Rekordzeit. Aber wenn eine Aufgabe, die früher mit 4 Stunden abgerechnet wurde, heute nur noch 10 Minuten dauert – gibt es dann Rabatt? Oder ist die Anwältin einfach effizienter?
Was früher vier Stunden strategischer Analyse benötigte, dauert heute 20 Minuten. Bedeutet das: 1.200 € werden zu 100 €? Nicht ganz – aber Mandant:innen wollen wissen, warum nicht.
Tatsächlich sind die wenigsten Kanzleien bereit, ihre Preise an KI-beschleunigte Abläufe anzupassen. Doch Mandant:innen wissen zunehmend, welche Tools genutzt werden – und hinterfragen den Wert zeitbasierter Abrechnung, wenn Zeit nicht mehr der Engpass ist.
Zeig mir die Zahlen: Wie viel Zeit spart KI wirklich?
Studien von McKinsey, Thomson Reuters und Gartner zeigen: Generative KI kann je nach Aufgabe 20–70 % der Arbeitszeit einsparen:
- Standardvertragsentwürfe: 40–70 % schneller mit vorlagenbasierten Copiloten
- Dokumentenprüfung & Risikofilter: bis zu 55 % Zeitersparnis bei automatisierter Erstanalyse
- Juristische Recherche & Urteilssynopsen: 30–50 % schneller durch generative Suchtools
- Due-Diligence-Datenanalyse: 25–40 % Zeitersparnis in frühen Transaktionsphasen
Je nach Jurisdiktion und Prüfpflichten variieren die Werte – doch eines ist klar: Zeit ist nicht mehr der entscheidende Engpass – Glaubwürdigkeit und Analysefähigkeit schon.
Value-Based Pricing: Vom Konzept zur Notwendigkeit
Über wertorientierte Honorarmodelle wird seit Jahren diskutiert. KI könnte sie zur Pflicht machen. Statt Zeit zu berechnen, müssen Kanzleien künftig den Mehrwert rechtlicher Leistungen erklären: Risiken vermieden, Deals ermöglicht, Rechte gesichert. Das bringt:
- ✔ Fokus auf Expertise statt Aufwand
- ✔ Förderung von Effizienz und Transparenz
- ✔ bessere Ausrichtung von Kanzleiinteressen und Mandantenbedürfnissen
Ethische und regulatorische Fragen
Jurisdiktionen wie die EU und das Vereinigte Königreich prüfen bereits Regeln zum KI-Einsatz in der Rechtsberatung. Zentrale Fragen:
- Transparenz: Müssen Mandant:innen erfahren, wenn KI eingesetzt wird?
- Qualitätssicherung: Wer prüft und verantwortet KI-generierte Inhalte?
- Honorarbegründung: Haben Mandant:innen ein Anrecht auf die echte Bearbeitungszeit?
Die ABA Model Rules und nationale Standesregeln betonen zunehmend: Honorare müssen „angemessen“ sein – gemessen an Aufwand und Ergebnis, nicht an Stundenzetteln.
Auf dem Weg zu einer neuen Abrechnungslogik
KI wird juristische Honorare nicht abschaffen – aber sie wird verändern, wie sie begründet werden. Die Zukunft könnte so aussehen:
- ✔ Hybride Modelle: Zeit für menschliche Expertise, Festpreise für KI-gestützte Aufgaben
- ✔ Ergebnisorientierte Vergütung: Bezahlung für Resultate, nicht für Prozesse
- ✔ Transparente Aufschlüsselung: Was wurde automatisiert, was manuell geprüft?
„KI reduziert die Zeit. Jurist:innen müssen den Wert begründen.“
Fazit
KI ersetzt keine Jurist:innen – aber sie verändert, wie sie ihre Honorare rechtfertigen. In einer Welt, in der juristische Ergebnisse in Sekunden generiert werden können, zählt der menschliche Mehrwert: strategisches Denken, Verantwortung, Urteilskraft. Die Abrechnung muss folgen – nicht um den Beruf zu entwerten, sondern um seine neue Realität abzubilden.
Die Uhr tickt – aber nicht mehr in abrechenbaren Stunden.
Quellen & weiterführende Literatur
- McKinsey – „The Economic Potential of Generative AI“ (2023)
- Gartner – „Predicts 2024: The Transformative Impact of Generative AI on Legal Technologies“ (2024)
- Mark Palmer – „Be Reasonable! AI and Legal Billing“ (Attorney at Work, 2025)
- ABA Formal Opinion 512 – Use of Generative AI in Legal Services (2024)
- Thomson Reuters – „Pricing AI-driven Legal Services and the Billable Hour“ (2024)
- Deloitte – „Value-Based Pricing for Legal Services“
- Houston Law Review – „Navigating the Power of AI in the Legal Field“ (2025)
- Reuters – „Code of Conduct: Ethical Considerations for AI in Legal Practice“ (2024)
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